Thema: Fußballfelder und Flächenmaße
Dieser Beitrag ist am 15.04.2024 auch im Standard erschienen.
Ich habe vor Kurzem das Buch Endspiel des Schweizer Biologen Claude Martin gelesen. Im zweiten Kapitel schreibt er über die sogenannte Walddegradation oder in anderen Worten den Verlust von Wald. Abgesehen von gezielter Rodung, um Waldflächen in Acker- oder Bauland zu verwandeln, können auch Holzeinschlag, Brände und Schädlings- oder Krankheitsbefall dazu führen, dass Wälder verschwinden. Dieser Rückgang von Waldgebieten wird normalerweise in Quadratkilometern pro Jahr angegeben.
Umgangssprachlich ist in diesem Zusammenhang häufig die Rede von Fußballfeldern pro Minute, um Leuten die Möglichkeit zu geben, sich das Ganze besser vorzustellen. Diese recht plakative Einheit wird deshalb unter anderem auch gerne zur Veranschaulichung von Bodenversiegelung verwendet. Allerdings kritisiert der Autor, dass die Maße eines Fußballfeldes nicht eindeutig festgelegt sind und die damit behaftete Ungenauigkeit. Diesen Standpunkt vertritt auch die Statistikerin Katharina Schüller.
Das hängt damit zusammen, dass es zwar Ober- und Untergrenzen für die Seitenlängen gibt, doch innerhalb dieses Rahmens können die Maße stark variieren. Ich habe mir deshalb die Frage stellt, wie groß diese Unterschiede wirklich sind, welche Auswirkungen das auf Berichte in den Medien haben kann und ob die Fußballfelder pro Minute nicht trotzdem ihre Berechtigung haben.
Zuallererst müssen wir klären, wie groß ein Fußballfeld sein kann. Die Standardgröße für internationale Spiele, auf die sich FIFA und UEFA geeinigt haben, setzt sich aus 105 Metern Länge (Seitenlinie) und 68 Metern Breite (Torlinie) zusammen, womit wir auf insgesamt 105 ⋅ 68 = 7 140 Quadratmeter bzw. ungefähr 0,7 Hektar Fläche kommen:
Das entspricht ungefähr dem Mittelmaß der beiden Parameter, aber zumindest theoretisch wäre auch jede erdenkliche Feldgröße zwischen dem Mindestmaß von 90 ⋅ 45 = 4 050 Quadratmetern...:
theoretische minimale Feldgröße (Bildquelle: Johannes C. Huber)
...und dem Höchstmaß von 120 ⋅ 90 = 10 800 Quadratmetern möglich*:
Die maximale Feldgröße deckt also immerhin mehr als doppelt so viel Fläche ab wie die minimale. Der Vorwurf mangelnder Genauigkeit erscheint zunächst durchaus berechtigt zu sein, denn je nachdem wie lang die Maße für die beiden Seitenlängen gewählt werden, kommen wir mit wesentlich mehr oder weniger Feldern aus, um eine bestimmte Waldfläche zu beschreiben.
Als nächstes versuchen wir herauszufinden, ob es in unterschiedlichen Medienberichten Abweichungen gibt und wie stark diese sein können. Dazu müssen wir ermitteln, mit welchen Feldgrößen gerechnet wurde, denn falls es uns gelingt, diese zu bestimmen, können wir auch Vergleiche anstellen. Es gibt mehrere Möglichkeiten, um von der Walddegradation auf die Fußballfelder zu kommen, aber wir werden dafür einfach Quadratkilometer in Quadratmeter und Jahre in Minuten umrechnen. Darum machen wir einen kleinen Exkurs zur Umwandlung von Flächeneinheiten bzw. -maßen.
Um zu verstehen, wie wir von einem Flächenmaß auf das andere kommen, beginnen wir mit den Längenmaßen, da diese deren Ausgangsbasis darstellen. Neben der grundlegenden Längeneinheit Meter lernen wir normalerweise auch, was Milli-, Zenti-, Dezi- und Kilometer sind. Zwischen Metern und Kilometern gibt es außerdem noch Deka- und Hektometer, die in der Schule normalerweise nicht extra behandelt werden, weil sie im Alltag nicht gebräuchlich sind, aber der Vollständigkeit halber nehmen wir sie dazu. Wichtig für uns ist, dass jedes Längenmaß hier zehnmal so groß ist, wie das Vorhergehende. Um von einer Einheit auf die nächstkleinere zu kommen, multiplizieren wir sie also mit der Zahl 10:
Flächen sind allerdings nicht ein-, sondern zweidimensional. Der Zusatz "Quadrat-" im Wort Quadratmeter kommt daher, dass die Flächeneinheit einem Quadrat mit einem Meter Seitenlänge entspricht. In einen Quadratmeter passen deshalb nicht etwa zehn, sondern bereits zehn mal zehn, also hundert Quadratdezimeter hinein. Um bei den Flächenmaßen von einer Einheit auf die nächstkleinere zu kommen, müssen wir also stattdessen mit 10² = 10 ⋅ 10 = 100 multiplizieren:
Ein Quadratkilometer entspricht also einer Million Quadratmeter und ein Jahr ungefähr 60 ⋅ 24 ⋅ 365,25 = 525 960 Minuten. Falls die Walddegradation in Quadratkilometern angegeben ist, wandeln wir diese zuerst in Quadratmeter um. Im nächsten Schritt teilen wir sie durch die Minuten in einem Jahr, um die Quadratmeter pro Minute zu erhalten. Zum Schluss teilen wir diesen Wert noch durch die jeweilige Feldgröße und kommen so auf die Anzahl der Felder.
Falls beispielsweise 120 000 Quadratkilometer Wald pro Jahr gerodet werden, entspricht das ungefähr 32 standardmäßigen Fußballfeldern pro Minute. Falls wir jedoch stattdessen die Mindest- und Höchstmaße für die Seitenlängen heranziehen, kommen wir sogar auf circa 56 Felder bzw. nur auf circa 21 Felder.
Jetzt haben wir alles beisammen, um verschiedene Medienberichte zu analysieren. Um die verwendeten Feldgrößen zu bestimmen, drehen wir den letzten Schritt einfach um und teilen die Quadratmeter pro Minute durch die angegebene Anzahl der Felder. Hier ist zum Beispiel für das Jahr 2017 von 20 Feldern die Rede, da insgesamt circa 76 000 km² Wald gerodet wurden. Allem Anschein nach wurde hier die standardmäßige Feldgröße verwendet, wie wir selbst nachrechnen können:
(76 000 000 000 m² : 525 960 min) : 20 Felder ≈ 7224 m² pro Feld
Die so errechnete Feldgröße ist zwar eigentlich ein bisschen mehr als der Standard, aber das dürfte daran liegen, dass die Anzahl der Felder auf eine ganze Zahl, also in diesem Fall zwanzig, gerundet wurde. Hier und hier sind es für das Jahr 2018 mit 12 000 000 ha und hier für 2022 mit 112 800 km² jeweils 30 Felder. Hier wurde die Abholzung für das Jahr 2021 auf 11,1 Mio. ha beziffert und für das Jahr 2022 mit 11 Feldern angegeben, da diese 4,1 Mio. ha entsprach, was auch hier, hier und hier mit 11 Feldern angegeben wurde. In all diesen Beispielen entspricht der Wert umgerechnet jedenfalls der Standardgröße.
Das ändert sich auch nicht bei Meldungen, die eine bestimmte Region der Erde betreffen. Beispielsweise wurden im Jahr 2011 in Brasilien insgesamt ungefähr 13 000 000 Hektar Wald gerodet, weshalb hier drei Felder pro Minute erwähnt werden. Hier, hier, hier und hier wird das Gleiche für den Zeitraum von Juli 2019 bis August 2020 (11 000 km²) gemacht. Hier werden bei der Abholzung im Amazonasgebiet ebenfalls drei Felder erwähnt. Beim Thema Bodenversiegelung ist es übrigens genauso: Hier dienen dreißig Felder, hier und hier jeweils sechzehn und hier acht als Vergleich.
Obwohl es theoretisch zu Ungenauigkeiten aufgrund variabler Felddimensionen kommen könnte, scheint es so, als ob in der Regel ohnehin stets die Standargröße für Berechnungen herangezogen wird. Dadurch verliert der Vorwurf, zumindest in der Praxis, an Wirkung und es handelt sich, meines Erachtens, trotzdem um eine hilfreiche Einheit, um sich ein besseres Bild davon zu machen. Selbstverständlich gibt es einen klaren Unterschied zwischen den Zahlen und der bildhaften Vorstellung, aber für mich persönlich spielt es keine große Rolle, ob es jetzt statt dreißig doch nur zwanzig oder sogar fünfzig Fußballfelder Waldfläche pro Minute sind, die verschwinden, denn ich finde die Vorstellung in jedem Fall beunruhigend.
Johannes C. Huber (fände es schön, wenn Fußballfelder auch quadratisch sein dürften)
* In der Praxis muss das Feld allerdings rechteckig sein, d. h. ein 90 mal 90 Meter-Quadrat wäre nicht erlaubt und wahrscheinlich auch nicht förderlich für das Spielgeschehen. Wer sich mit den theoretischen Felddimensionen spielen möchte, kann das mit diesem GeoGebra-Applet tun.
Quellen:
- Martin C. (2015): Endspiel. Wie wir das Schicksal der tropischen Regenwälder noch wenden können. S. 37 und 55.
- Schüller K. (2015): Statistik und Intuition. Alltagsbeispiele kritisch hinterfragt. S. 21.
- UEFA (2011): UEFA-Handbuch für Qualitätsstadien.
- UEFA (2018): UEFA-Stadioninfrastruktur-Reglement.