Donnerstag, 24. November 2022

Fundamentale Formeln (Fortsetzung)

Thema: Kartenhäuser und Formeln

In meinem letzten Beitrag habe ich eine rekursive Formel für den Bau eines Kartenhauses vorgestellt, der am 22.11.2022 auch im Standard erschienen ist. Leider ist mir beim Aufschreiben der Formel ein Fehler passiert, da ich zwei verschiedene Sichtweisen miteinander vermischt habe. Ich habe ursprünglich geschrieben \(k(n+1) = k(n) + n - 1 + 2n = k(n) + 3n - 1\) und damit "Anzahl der Karten jetzt = Anzahl der Karten vorher + Anzahl der Stockwerke jetzt minus 1 + zwei mal Anzahl der Stockwerke jetzt" gemeint. Allerdings hätte ich besser darauf achten müssen, welches Stockwerk ich meine, weil meine falsche Formel stattdessen "Anzahl der Karten jetzt = Anzahl der Karten vorher + Anzahl der Stockwerke vorher minus 1 + zwei mal Anzahl der Stockwerke vorher" bedeutet, was nicht stimmt. Glücklicherweise hat mich jemand in einem Forenkommentar gleich darauf aufmerksam gemacht.

Ein positiver Nebeneffekt der ganzen Sache ist, dass die richtige Formel für \((n+1)\) Stockwerke ebenfalls schön veranschaulicht werden kann. Dafür bauen wir das Kartenhaus nicht nach unten, sondern seitlich weiter, was, im Gegensatz zu meiner ursprünglichen Überlegung, tatsächlich praktisch durchführbar ist. Auch in diesem Fall sollte klar sein, dass die bisher benötigten Karten im größeren Haus enthalten sein müssen, weil das jeweils kleinere Haus einen seitlichen Anbau bekommt. Im nächsten Schritt brauchen wir dreimal so viele Karten wie die Anzahl der Stockwerke zuvor für die zusätzlichen Zimmer mit Boden auf der Seite. Zum Schluss kommen jedes Mal noch zwei Karten für die beiden Wände des neuen untersten Zimmers ohne Boden dazu.

Wenn wir also beispielsweise ein viertes Stockwerk dazu bauen, brauchen wir einerseits die fünfzehn Karten für ein dreistöckiges Haus (orange) und andererseits drei mal drei, also neun Karten für die neuen Zimmer mit Boden im Anbau (magenta) sowie zwei Karten für das Zimmer ohne Boden (cyan):

vierstöckiges Kartenhaus (Bildquelle: eigene Darstellung mit Gimp)

Insgesamt brauchen wir 15 + 9 + 2 = 26 Karten. Wir kommen also auf dasselbe Ergebnis, auch wenn die Rechenbausteine anders zustandekommen. Nun fassen wir wieder unsere drei Beobachtungen zusammen. Die Anzahl der Karten für ein Kartenhaus mit einem weiteren Stockwerk beinhaltet:

  1. die Anzahl der Karten für das bisher gebaute Haus
  2. die bisherige Anzahl der Stockwerke mal drei für die zusätzlichen Zimmer mit Boden
  3. zwei Karten für das zusätzliche Zimmer ohne Boden

Mit diesen Bausteinen basteln wir uns eine weitere rekursive Formel:

Karten insgesamt = Karten vorher + Stockwerke vorher ⋅ 3 + 2

Um das ein wenig abzukürzen, nennen wir die Anzahl der Karten \(k\) und die Anzahl der Stockwerke \(n\). Für das jeweils nächste Stockwerk schreiben wir nun allgemein auf:

\(k(n+1) = k(n) + 3n + 2\)

Die Glieder der dadurch entstehenden Folge \(k(n)\) (mit \(k(0) = 0\)) sind ebenfalls die sogenannten Pentagonalzahlen (Fünfeckszahlen) der zweiten Art bzw. Kartenhauszahlen.

An dieser Stelle ein großes Dankeschön für wertvollen Input von meinem Redakteur Tizian Rupp, Stefan und Standard-Forum-User "maohl"!

Johannes C. Huber (wird in Zukunft beim Übergang von der Angabe zum Rechenweg besser aufpassen)

Quellen:

  • Matroid (2002): Pentagon, Kartenhaus und Summenzerlegung; In: Wohlgemuth M. (Hrsg.) (2010): Mathematik für fortgeschrittene Anfänger, S. 177-182; auch online verfügbar (zuletzt aufgerufen am 19.11.2022)

Mittwoch, 23. November 2022

Fundamentale Formeln

Thema: Kartenhäuser und Formeln

Dieser Beitrag ist am 22.11.2022 auch im Standard erschienen.

Um meine Schüler*innen mit Funktionsformeln vertraut zu machen, habe ich eine Stunde geplant, in der sie selbst eine Formel finden und aufschreiben sollen. Wir brauchen dafür im Grunde nur Schreibzeug, Papier und ein Kartendeck, aber ein Stapel rechteckiger Bierdeckel eignet sich ebenso.

 
der Autor im Selbstversuch (Bildquelle: Johannes C. Huber)

Ein einstöckiges Kartenhaus stellt eine Art freistehendes Dach dar und besteht aus nur zwei Karten:


einstöckiges Kartenhaus
(Bildquelle: eigene Darstellung mit Gimp)

Jetzt stellen wir uns vor, dass wir das Haus von oben nach unten erweitern. In der Praxis gestaltet sich das schwierig, weil wir ja eigentlich in die Höhe bauen, aber für unsere weiteren Überlegungen ist diese Herangehensweise durchaus sinnvoll. Für das nächste Stockwerk brauchen wir insgesamt fünf weitere Karten. Vier davon sind für die Wände und die verbleibende wird zum Boden für das darüberliegende Stockwerk:


zweistöckiges Kartenhaus
(Bildquelle: eigene Darstellung mit Gimp)

Für das dritte Stockwerk kommen sechs Karten für die Wände sowie zwei für den nächsten Boden dazu:

dreistöckiges Kartenhaus (Bildquelle: eigene Darstellung mit Gimp)

Uns fällt auf, dass alle "Zimmer" in unserem Kartenhaus nach oben ausgerichtete Dreiecke sind. Wenn wir weiter so vorgehen, erkennen wir womöglich irgendwann ein Muster. Zunächst einmal ist klar, dass die bisher benötigten Karten auch im größeren Haus enthalten sein müssen, weil das kleinere Haus gewissermaßen in das Dach des nächsthöheren wandert. Im nächsten Schritt brauchen wir um eine Karte weniger als die aktuelle Anzahl der Stockwerke, um die Zimmerböden des zuvor untersten Stockwerks einzuziehen. Zum Schluss kommen jedes Mal noch doppelt so viele Karten, wie die Anzahl der Stockwerke für die neuen Wände dazu, weil wir stets zwei davon für ein Zimmer ohne Boden brauchen. Wenn wir also beispielsweise ein viertes Stockwerk dazu bauen, brauchen wir einerseits die fünfzehn Karten für ein dreistöckiges Haus (orange) und andererseits vier minus eins, also drei Karten für die nächsten Böden (blau) sowie zwei mal vier, also acht Karten für die Wände (grün):


vierstöckiges Kartenhaus (Bildquelle: eigene Darstellung mit Gimp)

Insgesamt brauchen wir also 15 + 3 + 8 = 26 Karten. Das sieht schon verdächtig nach einer Formel aus. Nun fassen wir unsere drei Beobachtungen zusammen. Die Anzahl der Karten für ein Kartenhaus mit einem weiteren Stockwerk beinhaltet folgende Elemente:

  1. die Anzahl der Karten für ein Haus mit einem Stockwerk weniger
  2. die aktuelle Anzahl der Stockwerke minus 1 für die zusätzlichen Böden
  3. zweimal die aktuelle Anzahl der Stockwerke für die zusätzlichen Wände

Mit diesen Bausteinen basteln wir uns eine rekursive Formel:

Karten insgesamt = Karten zuvor + Stockwerke - 1 + 2 \(\cdot\) Stockwerke

Um das ein wenig abzukürzen, nennen wir die Anzahl der Karten \(k\) und die Anzahl der Stockwerke \(n\). Für das jeweils nächste Stockwerk schreiben wir nun allgemein auf:

\(k(n) = k(n-1) + n - 1 + 2n = k(n-1) + 3n - 1\)

Die Glieder der dadurch entstehenden Folge \(k(n)\) (mit \(k(0) = 0\)) sind die sogenannten Pentagonalzahlen (Fünfeckszahlen) der zweiten Art und werden passenderweise auch Kartenhauszahlen genannt.

Fragen wie diese können den Lernenden als Ansporn für das Ermitteln der Formel gestellt werden:

  • Wie hoch ist ein Kartenhaus, das aus hundert Karten besteht?
  • Wie viele Karten brauchen wir für ein zehnstöckiges Kartenhaus?
  • Wie viele zusätzliche Karten brauchen wir, um aus einem zehnstöckigen Kartenhaus ein elfstöckiges zu machen?
  • Wie hoch können wir ein Kartenhaus bauen, wenn wir ein Spielkartendeck zur Verfügung haben?
  • Wie viele Decks brauchen wir für ein fünfzehnstöckiges Kartenhaus und wie viele Karten bleiben übrig?
  • Wie viele Stockwerke hat ein Kartenhaus, sodass keine Karten übrigbleiben, wenn wir nur ganze Decks verbauen möchten?

Johannes C. Huber (hat bereits erfolgreich ein siebenstöckiges Kartenhaus gebaut)

PS: Eine Möglichkeit der Binnendifferenzierung für Lernende, die eine kleine Hilfestellung benötigen, sind Kartenhäuser, bei denen ausnahmslos jedes Stockwerk - also auch das Erdgeschoß - einen Boden hat:

Die Anzahl der Karten lässt sich in diesem Fall wesentlich einfacher ermitteln, weil wir dafür nur die "Zimmer" des Kartenhauses zählen und dann ihre Anzahl verdreifachen müssen. Die nach unten ausgerichteten Dreiecke dürfen wir nicht zählen, weil sonst alle Innenwände doppelt vorkommen würden. Um damit auf eine Formel für das Kartenhaus zu kommen, müssen wir uns nur noch überlegen, wie wir die jeweils unterste Bodenschicht abziehen können.

Quellen:

  • Matroid (2002): Pentagon, Kartenhaus und Summenzerlegung; In: Wohlgemuth M. (Hrsg.) (2010): Mathematik für fortgeschrittene Anfänger, S. 177-182; auch online verfügbar (zuletzt aufgerufen am 19.11.2022)

Dienstag, 1. November 2022

Wo bleibt mein Klimabonus?

Thema: Einmalzahlungen und Gleichungssysteme/Erwartungswerte

Dieser Beitrag ist am 31.10.2022 auch im Standard erschienen.

Der sogenannte Klimabonus ist eine finanzielle Maßnahme der Regierung, die aus den Einnahmen der CO2-Abgabe finanziert wird und wurde heuer an alle Menschen ausbezahlt, die 2022 für mindestens 6 Monate ihren Hauptwohnsitz in Österreich hatten. Dem Großteil der Bevölkerung wurde der Betrag von 500 Euro direkt aufs Konto überwiesen, während er dem Rest in Form von Sodexo-Gutscheinen per Post zugestellt wurde:

Screenshot der Infowebseite vom 15.10.2022

Wie viele bekommen die Hälfte?

Kinder und Jugendliche erhalten jedoch nur 250 Euro. Um herauszufinden wie viele das sind, können wir ein Gleichungssystem mit x für Erwachsene und y für Kinder und Jugendliche aufstellen. Wir wissen, dass es 1.) zusammen insgesamt 8.683.856 Personen sind und 2.) insgesamt 3.987.017.000 Euro ausbezahlt wurden:

Es müssten also 1.419.644 Kinder und Jugendliche sowie 7.264.212 Erwachsene sein.

Wann haben alle den Klimabonus?

Der Geschäftsführer des für die Auszahlungen zuständigen Unternehmens hat behauptet, dass jeden Tag 300.000 Überweisungen durchgeführt werden und die Abwicklung aller Zahlungen deshalb 25 Tage dauern wird. Wenn wir die Anzahl der Leute durch die angegebene Anzahl an Transaktionen pro Tag teilen, kommen wir tatsächlich auf ungefähr 25 Tage:

Da viele Leute (mich selbst eingeschlossen) ihr Geld allerdings erst nach dem 25. September überwiesen bekommen haben, gehe ich davon aus, dass damit Werktage gemeint sind. Das würde insofern auch Sinn ergeben, dass Wochenenden und Feiertage keine Bankarbeitstage sind. Demnach wäre der letztmögliche Tag der 05. Oktober, was auch mit der Behauptung die Zahlungen werden in der ersten Oktoberwoche abgeschlossen sein zusammenpassen würde.

Allerdings bekam eine zufällig ausgewählte Gruppe von 300.000 Personen für die Pilotphase bereits Ende August ihr Geld. Dadurch schrumpft die Menge der Leute und das Datum verschiebt sich eigentlich auf den 04. Oktober nach vorne. Nichtsdestotrotz kann es sein, dass die letzten Überweisungen vor Ablauf der angekündigten Zeitspanne in die Wege geleitet wurden, auch wenn das Geld dann noch nicht auf allen Konten angekommen ist. Somit wäre die Aussage also grundsätzlich nicht als falsch zu werten.

Wie lange wird gewartet?

Um zu klären, wie lange man durchschnittlich auf den Erhalt des Klimabonus warten muss, berechnen wir den Erwartungswert. Das entsprechende Ereignis ist der Tag, an dem das Geld da ist. Wir gehen davon aus, dass jede Person die gleiche Wahrscheinlichkeit hat ausgewählt zu werden (in Wirklichkeit hängt die Reihenfolge davon ab, wie schnell die Daten übermittelt wurden). Diese erhalten wir, indem wir die Anzahl der Transaktionen (günstige Fälle) durch die Anzahl der Grundgesamtheit (mögliche Fälle) dividieren. Doch bevor wir das tun, runden wir die Grundgesamtheit auf ungefähr 7,5 Millionen, um den Rechenweg zu vereinfachen. 

Nun berechnen wir die Wahrscheinlichkeiten für die einzelnen Tage. Dabei fällt uns auf, dass sich die Zähler und Nenner jeweils gegenseitig aufheben, da die Grundgesamtheit ja mit jedem weiteren Tag schrumpft bis alle ihr Geld bekommen haben: 

Nun haben wir alles beisammen, um den Erwartungswert zu berechnen:

Wir müssen im Schnitt also 13 Tage oder – in anderen Worten – etwa die Hälfte der veranschlagten Bearbeitungszeit warten, bis wir unser Geld bekommen. Wenn wir uns das Ganze anders überlegen, ist es nicht weiter verwunderlich, da die eine Hälfte der Bevölkerung ihr Geld vor und die andere nach der Hälfte der Zeit bekommt. Im Schnitt ist die Wartezeit dann klarerweise die Hälfte.

Johannes C. Huber (hat mittlerweile auch seinen Klimabonus erhalten)

Quellen: