Dienstag, 30. November 2021

Ist das nicht deine Karte?

Thema: Tarot-Karten und Bernoulli-Experimente

Kartenlesen ist seit Jahrhunderten für viele Leute ein beliebtes Mittel, um etwas über die eigene Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft herauszufinden. Eine mögliche Variante ist nacheinander drei Karten zu ziehen, die anschließend gedeutet werden.

Meine Freundin behauptet, dass sie jedes Mal, wenn sie jemandem beim Ziehen zuschaut, selbst eine andere Karte gewählt hätte. Sie findet das spannend, weil jede Person offenbar andere Präferenzen beim Ziehen hat als sie. Das kann ja kein Zufall sein. Oder doch? Die Behauptung klingt plausibel, aber wie wahrscheinlich ist das wirklich?

Um das herauszufinden, schauen wir uns zunächst einmal an, womit wir es zu tun haben. Glücklicherweise genügt es in diesem Fall zu wissen, wie viele Karten es beim Tarot gibt. Wir benötigen also keine genauen Kenntnisse über deren Bedeutung.

Beim klassischen Tarot gibt es insgesamt 78 Karten, die in zwei Gruppen aufgeteilt werden:

  • die kleinen Arkana (56 Karten) - vier Farben (oft: Schwerter, Kelche, Stäbe und Münzen) mit jeweils zehn Zahlen und vier Bildkarten

  • die großen Arkana (22 Karten) - Trümpfe von 0 bis 21

Große Arkana eines keltischen Tarot-Kartendecks (Bildquelle: Johannes C. Huber)

Die kleinen Arkana sind also im Grunde gleich aufgebaut wie deutsche Spielkarten. Die großen Arkana wiederum weisen eine große Ähnlichkeit zu den Trümpfen des Kartenspiels Tarock auf. Das ist nicht weiter verwunderlich, da Tarot und Tarock gewissermaßen miteinander verwandt sind. Man kann theoretisch auch einen Satz Tarock-Karten auflegen und lesen und umgekehrt mit Tarot-Karten problemlos Tarock spielen.

Trümpfe eines österreichischen Tarock-Kartendecks (Bildquelle: Johannes C. Huber)

Bei der sogenannten Divination, also dem Lesen der Karten, werden meist nur die großen Arkana verwendet. Ich konzentriere mich daher in weiterer Folge auf diese (die folgenden Überlegungen gelten auch für eine andere Anzahl von Karten, aber die Werte müssen natürlich entsprechend angepasst werden). Für den ersten Zug gibt es 21 von 22 Möglichkeiten eine andere Karte zu ziehen. Die drei Karten werden nacheinander ohne Zurücklegen gezogen. Beim zweiten Zug gibt es also nur noch 20 von 21 Möglichkeiten und so weiter. Wenn wir davon ausgehen, dass alle Karten grundsätzlich gleich wahrscheinlich sind, kommen wir mit der ersten Pfadregel für Baumdiagramme auf folgenden Wert für die Wahrscheinlichkeit, dass zwei Personen in drei Zügen kein einiges Mal dieselbe Karte wählen:

https://latex.univie.ac.at/?\frac{21}{22}%20\cdot%20\frac{20}{21}%20\cdot%20\frac{19}{20}%20=%20\frac{19}{22}

Diese wirkt mit ~86,3% zwar verhältnismäßig groß, aber sobald wir die drei Züge beliebig oft wiederholen müssen sieht die Sache schnell ganz anders aus:

https://latex.univie.ac.at/?\frac{19}{22}%20\cdot%20\frac{19}{22}%20%20\cdot%20\frac{19}{22}%20%20\cdot%20...%20=%20\left(\frac{19}{22}\right)^n%20\xrightarrow{n%20\rightarrow%20\infty}%200

Nach nur vier Durchgängen ist die Wahrscheinlichkeit bereits kleiner als 50 %. Wir haben es übrigens auch selbst ausprobiert und nur neun Durchgänge gebraucht, bis wir beide bei einem Zug dieselbe Karte gewählt haben.

Wenn wir das Ganze als Bernoulli-Experiment modellieren, sehen wir, dass es sogar relativ wahrscheinlich ist innerhalb von 10 Runden (\(n\) = 10) mindestens einen Treffer zu landen:

https://latex.univie.ac.at/?P(X%20\geq%201)%20=%201%20-%20P(X%20=%200)%20=%201%20-%20\binom{10}{0}%20\cdot%20{\frac{3}{22}}^0%20\cdot%20{\frac{19}{22}}^{10}%20\approx%200,77

Selbstverständlich ist das kein Beweis dafür, dass es unmöglich ist stets eine andere Karte zu wählen, aber es ist ab einem gewissen Punkt einfach extrem unwahrscheinlich und daher durchaus mehr als außergewöhnlich, falls es doch passiert.

Johannes C. Huber (denkt als Geographielehrer beim Wort "Kartenlesen" an etwas anderes)

Quellen: