Mittwoch, 28. Februar 2024

Gamification von Hausarbeit

Thema: To-Do-Listen und Wahrscheinlichkeiten

Manchmal steht ein Punkt auf meiner To-Do-Liste, den ich eigentlich dringend erledigen sollte, obwohl ich partout keine Lust darauf habe. Unter Umständen habe ich ihn deshalb schon mehrere Male aufgeschoben und von einer Liste in die nächste übertragen. Ich bin definitiv nicht die einzige Person auf diesem Planeten, die hin und wieder prokrastiniert, aber seit Jahresbeginn fahre ich ganz gut mit folgender Taktik: Anstatt wertvolle mentale Ressourcen zu vergeuden, weil ich entscheiden muss, welcher Aufgabe ich mich als nächstes widme, überlasse ich das einfach dem Zufall. Deshalb nutze ich seit geraumer Zeit ein virtuelles Glücksrad, um mir die Wahl der Qual abzunehmen.

Diese Idee ist mir gekommen, als ich einem Youtuber bei einem besonders herausfordernden Playthrough von Hitman zugesehen habe. Abgesehen davon, dass er das Spiel auf der höchsten Schwierigkeitsstufe absolviert hat, musste er zusätzlich dazu nach jeweils fünf Minuten Spielzeit ein Glücksrad der Website Picker Wheel drehen. Das Resultat der Drehung konnte eine zusätzliche Aufgabe sein, die er erfüllen musste oder eine selbst auferlegte Einschränkung, an die er sich halten musste. Selbstverständlich würde es mit jedem weiteren Dreh immer schwieriger werden ein Level erfolgreich zu beenden.  

Mein Ziel war natürlich nicht, mir das Leben künstlich zu erschweren. Ganz im Gegenteil. Also habe ich es einfach ausprobiert, um zu sehen, ob ich mich damit selbst in Richtung mehr Effizienz tricksen kann. Ich wurde tatsächlich positiv überrascht, weil ich mit relativ wenig Aufwand gleich viel konsequenter geworden bin. Das liegt unter anderem daran, dass ich das Rad erst wieder drehen darf, wenn die aktuelle Aufgabe abgeschlossen ist. So gerate ich nicht in Versuchung stattdessen irgendwelche potentiell unwichtigeren Tätigkeiten vorzuziehen, um mir selbst Produktivität vorzugaukeln.

Eine Vorgehensweise wie diese ist höchstwahrscheinlich nichts Neues, aber sie macht mir wesentlich mehr Spaß, weil ich erstens nicht mehr selbst aussuchen muss, was als Nächstes drankommt und mich zweitens auch nicht mehr selbst dafür verfluchen kann. So schaffe ich es meist alles zu erledigen, was ich mir für einen Tag vorgenommen habe, weil ich nicht mehr auf potentiell entspanntere Aufgabeb ausweichen kann. Ich würde allerdings anmerken, dass es durchaus ein paar Dinge gibt, die man dabei beachten sollte.


beispielhaftes Glücksrad (Bildquelle: Picker-Wheel) 

Es gibt verschiedene Prinzipien mit stimmig klingenden Abkürzungen, die bei der Formulierung von Zielen helfen können, wie beispielsweise METER (messbar-einfach-terminiert-erreichbar-relevant) oder SMART (spezifisch-messbar-ausführbar-realistisch-terminiert). Abgesehen davon, dass man sie sich leicht merken kann, haben sie durchaus ihre Berechtigung. Daher möchte ich zum Schluss noch ein paar Tipps für die Umsetzung geben.

Die Glücksrad-Methode eignet sich, meines Erachtens, nur für Aufgaben, die sich innerhalb eines Tages erledigen lassen. Die Deadline ist dadurch zwar klar vorgegeben, aber ich empfehle generell nur Aufgaben einzutragen, die nicht allzu viel Zeit in Anspruch nehmen. Ein Eintrag wie "Wohnung putzen" ist wahrscheinlich ein wenig überladen (es sei denn man bewohnt nur ein Zimmer). Als grober Richtwert sollte jede Aufgabe nicht länger als eine Stunde dauern. Falls eine Aufgabe zu zeitintensiv erscheint, lässt sie sich möglicherweise in kleinere Teilaufgaben zerlegen.

Abgesehen davon sollten die Aufgaben am jeweiligen Tag auch tatsächlich erledigt werden können. Es bringt beispielsweise nichts, wenn man an einem Sonntag telefonisch einen Arzttermin vereinbaren möchte, aber die Praxis nicht geöffnet hat und daher niemand abhebt. Außerdem sollten sie voneinander unabhängig sein. Falls man z. B. die beiden Aufgaben "Farbe kaufen" und "Wand streichen" auf der Liste hat, ist die Reihenfolge prädeterminiert und kann nicht dem Zufall überlassen werden.

Bei To-Do-Listen im Allgemeinen ist es hilfreich, die Einträge zumindest halbwegs präzise zu formulieren, damit auch klar ist, was letztlich gemacht werden soll. Man könnte z. B. "Wohnzimmerboden nass wischen" statt einfach nur "Wohnzimmer putzen" schreiben oder "Batterien beim Diskonter kaufen" statt "Einkäufe erledigen".

Um nicht nur Aufgaben in Aussicht zu haben, auf die man wenig Lust hat, kann man auch solche einstreuen, die Freude machen bzw. einen gewissen Ausgleich schaffen, wie beispielsweise ein Kapitel eines Buches zu lesen, das schon seit längerem unangetastet herumliegt oder einen Film schauen, den man sich notiert hat. Das verleiht dem ganzen ein bisschen mehr Glücksspielcharakter, weil man auch auf etwas hoffen kann, das potentiell Spaß macht.

Ich habe ursprünglich mit dem Gedanken gespielt, Felder hinzuzufügen, die z. B. ein erneutes Drehen erlauben, falls man etwas erwischt hat, das man eigentlich lieber später machen möchte. Allerdings würde ich eher davon abraten, weil es den Sinn der Methode zunichte macht, wenn man sich im Endeffekt erst recht wieder vor Aufgaben drücken kann. Es könnte aber durchaus sinnvoll sein dringenden Aufgaben mehr bzw. größere Felder zu geben, damit diese mit einer höheren Wahrscheinlichkeit getroffen werden.

Eine andere Variante ist, stattdessen das Rad einfach laufend mit neuen Aufgaben zu füllen, d. h. auch dann, wenn noch welche übrig sind. Dadurch eröffnet sich zwar die Möglichkeit, unliebsame Aufgaben hinauszuzögern, aber auf kurz oder lang wird jede Aufgabe trotzdem irgendwann einmal dran kommen.

Wer das Gefühl mag, stolz einen Bullet Point nach dem anderen durchzustreichen, sollte es unbedingt einmal ausprobieren. Auch wenn man alle Einträge selbst geschrieben hat, tritt immer noch ein kleiner Überrauschungseffekt auf, sobald sich zeigt, was man erwischt hat. Ich bin jedenfalls hellauf begeistert davon und schreibe seitdem einfach alle Einträge meiner To-Do-Liste in die Felder auf dem Rad und um den Rest kümmert sich der Pfeil.

Johannes C. Huber (hat vom Glücksrad den Auftrag bekommen, endlich diesen Beitrag fertigzustellen)

Hier ein paar weitere Websites mit virtuellen Glücksrädern:

Freitag, 2. Februar 2024

ORGAN²/ASFSP

Thema: Orgelstücke und Zeiteinheiten

Dieser Beitrag ist am 02.02.2024 auch im Standard erschienen.

Durch Kulturgüter wie die Wiener Sängerknaben oder die Salzburger Festspiele ist Österreich weltweit bekannt. Doch auch in unserem Nachbarland gibt es Aufführungen, mit denen Musikgeschichte geschrieben wird. Eine davon spielt sich aktuell in Halberstadt in der möglicherweise recht unscheinbar wirkenden Burchardi-Kirche ab. Dort wird nämlich bereits seit über 20 Jahren durchgehend das Stück ORGAN²-ASLSP (as slow as possible) von John Cage gespielt, welches insgesamt 639 Jahre dauern soll und somit das bis dahin längste Musikstück der Menschheitsgeschichte sein wird.

Diese extrem lange Spielzeit ist die Differenz der Zeitpunkte des Einbaus der ursprünglichen, aber heute nicht mehr erhaltenen Orgel im Jahr 1361 und dem Ende des letzten Milleniums. Der Beginn der Aufführung war nämlich ursprünglich für das Jahr 2000 angesetzt, wurde aber dann auf 2001 verschoben. Das Stück besteht aus insgesamt acht Teilen, von denen jeder genau 71 Jahre lang gespielt wird. Bis zum Beginn des zweiten Teils dauert es also mittlerweile sogar schon weniger als ein halbes Jahrhundert, aber selbst dann wird erst ein Achtel der Aufführung vorbei sein.

Da im Februar der nächste Klangwechsel bevorsteht, habe ich ein wenig über das Thema gelesen und bin dabei auf das vermeintliche Gegenteil davon gestoßen: Eine Version mit dem klingenenden Namen ASFSP (as fast as possible), die stattdessen nur 37 Sekunden lang ist. Ich kann nicht mit Sicherheit beurteilen, ob das tatsächlich die kürzestmögliche Spielzeit ist, aber ich denke, dass die Grenzen des Möglichen damit noch nicht vollends ausgereizt sind. Da es keine vorgegebene Spielzeit gibt, habe ich mir überlegt, wie viel schneller die mehrere Jahrhunderte dauernde Version des Musikstücks abgespielt werden könnte, damit sie wirklich so kurz wie möglich dauert.

Um eine Antwort darauf geben zu können, benötigen wir zunächst einmal die kleinstmögliche Zeiteinheit. Diese erhalten wir, indem wir die größtmögliche Geschwindigkeit mit der kürzestmöglichen Strecke kombinieren. Ersteres ist die Lichtgeschwindigkeit im lufltleeren Raum mit fast dreihundert Millionen Metern pro Sekunde beziehungsweise über einer Milliarde Kilometern pro Stunde. Letzteres ist die sogenannte Planck-Länge, welche nur 1,616 255 ⋅ 10⁻³⁵ Meter lang ist. Zum Vergleich: Die bisher höchste Geschwindigkeit eines Raumfahrzeugs mit ungefähr 163 000 Metern pro Sekunde beziehungsweise 568 800 Kilometern pro Stunde wurde von der Parker Solar Probe erreicht und die Durchmesser von Atomen werden in Nanometern bzw. 10⁻¹⁰ Metern angegeben.

Um daraus die kürzestmögliche Zeiteinheit zu ermitteln, lassen wir also Licht über eine Distanz der Planck-Länge reisen. Das Ganze dauert erwartungsgemäß nicht sonderlich lange und wird Planck-Zeit genannt: tₚ ≈ 5,391 ⋅ 10⁻⁴⁴ Sekunden. Wir könnten nun versuchen, ein ähnliches Verhältnis wie das zwischen Planck-Zeit und Sekunde mit anderen Zeiteinheiten aufzustellen, um zumindest eine ansatzweise Vorstellung davon zu bekommen, wie unfassbar kurz das ist. Der Haken bei der Sache ist allerdings, dass wir in unserem Alltag schlicht und einfach keine gebräuchlichen Zeiteinheiten finden werden, mit denen das möglich ist. Eine Planck-Zeit ist nämlich im Vergleich zu einer Sekunde immer noch erheblich kürzer als eine Sekunde im Vergleich zum geschätzten Alter des Universums.

Obwohl wir uns vermutlich eher schwer damit tun, uns die Zeiteinheit vorzustellen, wissen wir nun immerhin, was wir haben möchten. Als Nächstes wandeln wir die Spielzeit des Stücks ebenfalls in Sekunden um, damit wir besser mit den beiden Zeiteinheiten rechnen können. Dazu überlegen wir uns Folgendes: Eine Minute dauert 60 Sekunden, also dauert eine Stunde 60 ∙ 60 = 3600 Sekunden und ein Tag 24 ∙ 3600 = 86 400 Sekunden. Ein Jahr hat somit ungefähr 365,25 ∙ 86 400 = 31 557 600 Sekunden und 639 Jahre demnach ungefähr 639 ∙ 31 557 600 = 20 165 306 400 Sekunden. In wissenschaftlicher Notation ist die Spielzeit des Stücks: tₐₛₗₛₚ = 2,016 530 64 ⋅ 10¹⁰ Sekunden.

Jetzt haben wir alles beisammen, um herauszufinden, wie viel schneller das Stück gespielt werden müsste, um in eine Planck-Zeit hineinzupassen. Dafür ermitteln wir zunächst den sogenannten Skalierungsfaktor, indem wir das Verhältnis der Soll- zur Ist-Größe aufstellen, das heißt wir teilen die gewünschte durch die ursprüngliche Zeitspanne und kommen somit auf:

tₚ : tₐₛₗₛₚ = 5,391 ⋅ 10⁻⁴⁴ s : 2, 016 530 64 ⋅ 10¹⁰ s ≈ 2,67340346 ⋅ 10⁻⁵⁴

Das Ergebnis ist jene Zahl, mit der wir die Spielzeit des Stücks multiplizieren müssten, um auf die Planck-Zeit zu kommen. Leider sagt sie uns aber noch nicht direkt, wie viel schneller es gespielt werden muss, damit das passiert.

Dafür benötigen wir einen ähnlichen Wert, wie wir ihn auch bei den Videoeinstellungen auf Plattformen wie YouTube finden. Angenommen, wir möchten ein zehn Minuten langes Video in der Hälfte der Zeit schauen. Um die Spielzeit zu halbieren, multiplizieren wir sie mit dem Skalierungsfaktor ein Halbes, aber das bedeutet natürlich nicht, dass wir das Video halb so schnell abspielen. Um das durch eine Änderung der Wiedergabegeschwindigkeit zu erreichen, machen wir das Gegenteil, das heißt wir erhöhen sie auf das Doppelte beziehungsweise multiplizieren wir sie mit dem Faktor zwei:


doppelte Wiedergabegeschwindigkeit (Quelle: Youtube)

Um das Gleiche für das Orgelstück zu bewerkstelligen, müssen wir also lediglich den Kehrwert des Verhältnisses bilden, das heißt Zähler und Nenner vertauschen oder vereinfacht gesagt "den Bruch umdrehen":

tₐₛₗₛₚ : tₚ = 2, 016 530 64 ⋅ 10¹⁰ s : 5,391 ⋅ 10⁻⁴⁴ s ≈ 0,374 055 025 ⋅ 10⁵⁴ = 3,740 550 25 ⋅ 10⁵⁵

Das Stück müsste also mehr als sage und schreibe 37 Nonilliarden-mal so schnell abgespielt werden, um der Angabe ASFSP, zumindest theoretisch, gerecht werden zu können.

Johannes C. Huber (hält eine Spielzeit von ungefähr dreißig Minuten für angemessen)

* Ein julianisches Kalenderjahr mit 365,2425 Tagen hat demnach 31 556 952 Sekunden. Eine recht praktische Approximation für die Anzahl der Sekunden in einem Jahr ist übrigens π ∙ 10⁷ ≈ 31 415 927.