Thema: Spulen und Reihen
Vor Kurzem habe ich das Nähen mit einer Nähmaschine für mich entdeckt und mir dabei die Frage gestellt, wie lange es dauert bis ein Faden vollständig aufgewickelt ist. Um das zu beantworten, genügt es zu wissen, wie viele Umdrehungen der Spule für die Länge des jeweiligen Fadens nötig sind.
Das können wir leicht abschätzen, indem wir den Umfang der Spule ausrechnen und dann die Fadenlänge durch diesen teilen. Hier ein einfaches Beispiel: Um einen Faden mit 50 m Länge auf eine Spule mit 5 cm Umfang zu wickeln brauchen wir maximal 1000 Umdrehungen.
Mit dieser Überlegung haben wir allerdings nur eine obere
Grenze für die Anzahl der Umdrehungen gefunden. Das liegt daran, dass wir Folgendes beachten müssen: Je mehr Faden aufgewickelt wird, desto mehr nimmt der Umfang der Spule zu. Wir werden in der Praxis also wesentlich weniger Umdrehungen brauchen, weil mit zunehmendem Umfang auch jedes Mal mehr Faden pro Umdrehung aufgewickelt wird. Gibt es eine Möglichkeit das zu berechnen?
Auf dem Papier ist vieles einfacher
Damit wir nicht gleich so viele verschiedene Dinge berücksichtigen müssen, verlagern wir das Ganze zunächst einmal in die Ebene. In anderen Worten: Wir tun so, als ob es keine dritte Dimension gibt. Wenn wir hier eine volle Umdrehung machen, wächst der Radius \(r_0\) unserer "2D-Spule" also genau um die Dicke des Fadens \(f\). Der neue Radius ist dann \(r_1 = r_0 + f\) und allgemein nach \(n\) Runden \(r_n = r_0 + nf\). Den Umfang der Spule nach \(n\) Runden erhalten wir dementsprechend mit folgender Formel:
Der
Faden wird beim Aufspulen mit jeder Umdrehung über einen größeren Umfang
gewickelt. Der letzte Summand für die \(n\)-te Umdrehung hat deshalb den
Index \(n-1\). Damit haben wir auch gleich ein Kriterium gefunden, das wir überprüfen können. Denn sobald die Länge des Fadens \(l\) zumindest gleich groß ist wie die Summe dieser immer größer werdenden Umfänge, ist der Faden fertig aufgewickelt.
Wie weit dürfen wir vorspulen?
Dieses Kriterium können wir wie folgt aufschreiben:
Die dadurch entstandene Reihe \(S\) können wir in eine Form bringen, die es uns erlaubt ihre Partialsumme mit der Gaußschen Summenformel zu berechnen:
Um die Anzahl der Umdrehungen auszurechnen, müssen wir nur \(l = S\) setzen und nach \(n\) auflösen. Bei unserem Beispiel von vorhin ist \(l\) = 50 m, \(u_0\) = 5 cm und als Fadendicke \(f\) nehmen wir 1 mm. Wir wandeln alles in cm um, setzen ein und lösen die dadurch entstandene quadratische Gleichung:
Die negative Lösung kann vernachlässigt werden, da uns nur praxisrelevante Werte interessieren. Spannend ist, dass wir offenbar nur etwas mehr als ein Zehntel der zuvor geschätzten Obergrenze brauchen, und das obwohl der Faden relativ dünn ist.
Zurück zur RealitätIn unserer Anschauung gibt es sehr wohl eine dritte Dimension. Der Faden wird in der Praxis ja nicht ausschließlich entlang einer einzelnen Bahn auf die Spule gewickelt, sondern auf mehreren. Wie viele es davon gibt, hängt von der Höhe der Spule \(h\) und der Fadendicke \(f\) ab. Wenn die Spule hoch und/oder der Faden dünn ist, haben mehr Bahnen darauf Platz und umgekehrt. Wir müssen uns noch überlegen, wie wir diesen Umstand mit ins Spiel bringen. Das ist glücklicherweise nicht sonderlich schwierig. Unsere Spule ist ein Zylinder und der aufgespulte Faden bedeckt dessen Mantelfläche \(M\). Auch dafür haben wir eine Formel parat: \(M = hu_0\).
Auch hier können wir die negative Lösung ignorieren. Zum Schluss müssen wir nur noch die Anzahl der Schichten mit der Anzahl der Umdrehungen pro Schicht multiplizieren (17 mal 30) und kommen so auf über 500 Umdrehungen. Wie kann es sein, dass wir hier viel mehr brauchen als zuvor? Das liegt daran, dass sich der Umfang der zweidimensionalen Spule mit jeder Umdrehung erhöht, aber hier bei unserem dreidimensionalen Beispiel nur nach jeder 30. Umdrehung. Daher dauert es auch viel länger, bis sich die Zunahme des Umfangs merklich auswirkt.
Was passiert im Extremfall?
Um unser Verständnis noch ein wenig zu vertiefen, schauen wir uns jeweils zwei extreme Fälle für jeden Parameter unserer Formel an. Bei l = 0 brauchen wir keine Umdrehungen (\(n\) = 0), da es praktisch keinen Faden zum Aufspulen gibt und falls \(l\) gegen unendlich strebt, werden wir niemals fertig, da der Faden kein Ende hat. Bei der Fadendicke \(f\) verhält es sich ähnlich. Der Fall \(f\) = 0 ist zwar in der Theorie interessant (mathematische Kurven haben ja auch keine "Dicke"), aber nicht wirklich praxistauglich und falls \(f\) gegen unendlich strebt, führt das ebenfalls dazu, dass wir nicht fertig werden.
Ein wenig interessanter wird es bei der Höhe der Spule \(h\). Der Fall \(h\) = 0 entspricht unserem zweidimensionalen Beispiel und falls \(h\) gegen unendlich strebt, führt das zur selben Vorgehensweise mit der Abschätzung zu Beginn, d. h. wir müssten einfach nur die Fadenlänge durch den Umfang der Spule dividieren. Das liegt daran, dass wir unendlich viele Bahnen wickeln können und der Umfang der Spule sich deshalb theoretisch nicht einmal um eine ganze Schicht erhöht.
Fazit
Bei
einer echten Spule lautet die Frage also nicht "Nach
wie vielen Umdrehungen ist die Summe der Umfänge gleich der Länge des
Fadens?", sondern "Nach wie vielen Schichten ist die Summe der
Mantelfächen gleich der Fläche des Fadens?". Daraus können wir dann die Anzahl der Umdrehungen berechnen und falls
wir zusätzlich wissen, wie lange eine solche Umdrehung dauert, können
wir uns ausrechnen, wie viel Zeit insgesamt benötigt wird und somit auch die
ursprüngliche Frage beantworten.
Johannes C. Huber (kann inzwischen problemlos den Unterfaden aufspulen)
PS: Bei meinen Überlegungen werden nach wie vor viele Dinge nicht berücksichtigt oder stark vereinfacht. In der Praxis ändert sich beispielsweise die Dicke des Fadens in Abhängigkeit davon, wie stark er gespannt ist. Abgesehen davon, können wir den Faden auch schräg entlang der Spule aufwickeln, sodass mit einer Umdrehung mehr als nur eine Länge Umfang zustande kommt.