Montag, 31. Mai 2021

Bartbedenkzeit

Thema: Bartwuchs und (seine) Folgen

Ich habe vor ein paar Jahren eher schlecht als recht versucht mir einen Bart stehen zu lassen. Letztes Jahr im ersten Lockdown habe ich dann beschlossen meiner bescheidenen Gesichtsbehaarung noch einmal eine Chance zu geben und es hat diesmal sogar recht gut funktioniert. Irgendwann kam jedoch der Sommer und der Bart fing an zu nerven.

Ausgangspunkt dieses Beitrags war die lockdownbedingte Wachstumsphase
der Gesichtsbehaarung des Autors (Bidquelle: Johannes C. Huber)

Also stellte sich nach immerhin gut drei Monaten Wachstum die Frage: Schneiden oder stehen lassen? Nach intensiver Internet-Recherche fand ich eine Antwort: Für jeden Monat Bartwuchs soll man einen Tag Bedenkzeit einräumen, ehe man sich endgültig dazu entschließt ihn abzurasieren (Quellen: The Beardy Beard und Real Men Real Style).

Auch drei Tage Bedenkzeit haben mich letztendlich nicht davon abgehalten ihn abzuschneiden. Statt meinem Bart blieb jedoch etwas anderes zurück, und zwar eine neue Frage: Was passiert, wenn wir diese Regel streng befolgen? Wenn ein voller Monat zusätzliche Wartezeit zustande kommt, dann führt dieser ja auch wieder zu einem weiteren Tag Wartezeit und so weiter. Gibt es also eine Anzahl an Tagen, sodass dieser Prozess niemals aufhört? 

Wieviel Bedenkzeit ist genug?

Dem geübten Lesepublikum dürfte sofort klar sein, dass das nicht funktioniert. Es spielt nämlich keine Rolle, wie viele Tage vor der Entscheidung für die Rasur zustande gekommen sind, da die Menge an so gewonnener zusätzlicher Bedenkzeit verhältnismäßig kleiner ist.

Um das besser zu verstehen, schauen wir nach, ob wir ein Muster erkennen. Der Einfachheit halber arbeiten wir mit der 360-Tage-Methode für ein Jahr. Ein Tag Bedenkzeit erfordert dann also 30 Tage Bartwuchs. Ein ganzes Jahr Bartwuchs reicht dann gerade einmal für 12 Tage Bedenkzeit. Um so einen zusätzlichen Monat an Wartezeit zu bekommen, brauchen wir schon 30 mal 30 (= 900) Tage. Um mit zusätzlichen Tagen wiederum ein weiteres Mal einen Monat Bedenkzeit zu bekommen, brauchen wir dann 30 mal 30 mal 30 (= 27.000) Tage Bartwuchs. Das sind ungefähr 74 Jahre!

Danach kommen wir zwar immerhin auf ganze zweieinhalb Jahre Bedenkzeit, aber spätestens hier dürfte uns das Problem auffallen: Es dauert sehr lange bis überhaupt eine gewisse Menge Bedenkzeit zustande kommt. Das liegt daran, dass wir exponentiell viel mehr Bedenkzeit für jede weitere "Ebene" an Bedenkzeit brauchen.

Die Folge des langen Wartens

Gut. Es dauert zwar ein bisschen, aber immerhin kommt auch mit jedem weiteren Tag Bedenkzeit eine Art Bonus dazu. Wird es dann nicht trotzdem irgendwie mehr? Absolut ja. Relativ jein. Am besten schauen wir uns einmal den relativen Anteil der Bedenkzeit an. Wir bekommen einen Tag Bedenkzeit pro 30 Tage Vorlaufzeit, also insgesamt 31 Tage. Bei 900 Tagen wären das 30 zusätzliche Tage plus ein weiterer Tag, der wiederum durch den extra Monat Bedenkzeit dazugerechnet werden darf und so weiter. Das Verhältnis von Bedenkzeit zu Gesamtzeit verhält sich dann wie folgt:

erste Ebene: \(\frac{1}{31} \approx 0,032258\)
zweite Ebene: \(\frac{31}{931} \approx 0,033298\)
dritte Ebene: \(\frac{931}{27931} \approx 0,033332\)
vierte Ebene: \(\frac{27931}{837931} \approx 0,033333\)
fünfte Ebene: \(\frac{837931}{25 137 931} \approx 0,033333\)
...

Anfangs sieht es zwar so aus, als ob der Wert wachsen würde, aber dann scheint er zu stagnieren. Wenn wir das Ganze als Folge \(a_{n}\) aufschreiben, dann lautet die rekursive Darstellung:

\[a_{0} = \frac{b_{0}}{b_{0} + v_{0}} \ (\text{mit} \ b_{0} = 1)\]

\[\ a_{n} = \frac{b_{n}}{b_{n} + v_{n}} = \frac{b_{n-1} + v_{n-1}}{b_{n-1} + v_{n-1} + v_{n}} = \frac{b_{n-1} + v_{0}^{n}}{b_{n-1} + v_{0}^{n} + v_{0}^{n+1}}\]

Dabei gilt \(b_{0} = 1\), weil wir einen Tag für jede voll durchlaufene Zeitspanne für die Regel bekommen (wenn es mehr Tage sein sollen, dann sieht es natürlich anders aus). Diese Folge strebt gegen den Grenzwert ein Dreißigstel, wenn wir das erste Glied gleich 30 setzen. Das hängt ganz einfach damit zusammen, dass das Verhältnis von Bedenkzeit zu Vorlaufzeit laut Faustregel 1 zu 30 ist. Es ist also egal, wie lange man wartet. Die Bedenkzeit wird nie mehr als ein Dreißigstel der Gesamtzeit sein.

Da ich aktuell an einem Python-Kurs teilnehme, habe ich mir den Spaß gemacht und ein Programm geschrieben, das die Bedenkzeit für eine beliebige Vorlaufzeit auf Sekunden genau ausrechnet.

Johannes C. Huber (lässt sich meist einen $\pi$-Tage-Bart stehen, ehe er sich wieder glatt rasiert)

Quellen: