Mittwoch, 3. April 2024

Eine Frage des Spielraums

Thema: Fußballfelder und Flächenmaße

Ich habe vor Kurzem das Buch Endspiel des Schweizer Biologen Claude Martin gelesen. Im zweiten Kapitel schreibt er über die sogenannte Walddegradation oder in anderen Worten den Verlust von Wald. Abgesehen von gezielter Rodung, um Waldflächen in Acker- oder Bauland zu verwandeln, können auch Holzeinschlag, Brände und Schädlings- oder Krankheitsbefall dazu führen, dass Wälder verschwinden. Dieser Rückgang von Waldgebieten wird normalerweise in Quadratkilometern pro Jahr angegeben.

Umgangssprachlich ist in diesem Zusammenhang häufig die Rede von Fußballfeldern pro Minute, um Leuten die Möglichkeit zu geben, sich das Ganze besser vorzustellen. Diese recht plakative Einheit wird deshalb unter anderem auch gerne zur Veranschaulichung von Bodenversiegelung verwendet. Allerdings kritisiert der Autor, dass die Maße eines Fußballfeldes nicht eindeutig festgelegt sind und die damit behaftete Ungenauigkeit. Diesen Standpunkt vertritt auch die Statistikerin Katharina Schüller.

Das hängt damit zusammen, dass es zwar Ober- und Untergrenzen für die Seitenlängen gibt, doch innerhalb dieses Rahmens können die Maße stark variieren. Ich habe mir deshalb die Frage stellt, wie groß diese Unterschiede wirklich sind, welche Auswirkungen das auf Berichte in den Medien haben kann und ob die Fußballfelder pro Minute nicht trotzdem ihre Berechtigung haben.

Zuallererst müssen wir klären, wie groß ein Fußballfeld sein kann. Die Standardgröße für internationale Spiele, auf die sich FIFA und UEFA geeinigt haben, setzt sich aus 105 Metern Länge (Seitenlinie) und 68 Metern Breite (Torlinie) zusammen, womit wir auf insgesamt 105 ⋅ 68 = 7 140 Quadratmeter bzw. ungefähr 0,7 Hektar Fläche kommen:

Standardfeldgröße für internationale Spiele (Bildquelle: Johannes C. Huber)

Das entspricht ungefähr dem Mittelmaß der beiden Parameter, aber zumindest theoretisch wäre auch jede erdenkliche Feldgröße zwischen dem Mindestmaß von 90 ⋅ 45 = 4 050 Quadratmetern...:


theoretische minimale Feldgröße (Bildquelle: Johannes C. Huber)

...und dem Höchstmaß von 120 ⋅ 90 = 10 800 Quadratmetern möglich*:

theoretische maximale Feldgröße (Bildquelle: Johannes C. Huber)

Die maximale Feldgröße deckt also immerhin mehr als doppelt so viel Fläche ab wie die minimale. Der Vorwurf mangelnder Genauigkeit erscheint zunächst durchaus berechtigt zu sein, denn je nachdem wie lang die Maße für die beiden Seitenlängen gewählt werden, kommen wir mit wesentlich mehr oder weniger Feldern aus, um eine bestimmte Waldfläche zu beschreiben.

Als nächstes versuchen wir herauszufinden, ob es in unterschiedlichen Medienberichten Abweichungen gibt und wie stark diese sein können. Dazu müssen wir ermitteln, mit welchen Feldgrößen gerechnet wurde, denn falls es uns gelingt, diese zu bestimmen, können wir auch Vergleiche anstellen. Es gibt mehrere Möglichkeiten, um von der Walddegradation auf die Fußballfelder zu kommen, aber wir werden dafür einfach Quadratkilometer in Quadratmeter und Jahre in Minuten umrechnen. Darum machen wir einen kleinen Exkurs zur Umwandlung von Flächeneinheiten bzw. -maßen.

Um zu verstehen, wie wir von einem Flächenmaß auf das andere kommen, beginnen wir mit den Längenmaßen, da diese deren Ausgangsbasis darstellen. Neben der grundlegenden Längeneinheit Meter lernen wir normalerweise auch, was Milli-, Zenti-, Dezi- und Kilometer sind. Zwischen Metern und Kilometern gibt es außerdem noch Deka- und Hektometer, die in der Schule normalerweise nicht extra behandelt werden, weil sie im Alltag nicht gebräuchlich sind, aber der Vollständigkeit halber nehmen wir sie dazu. Wichtig für uns ist, dass jedes Längenmaß hier zehnmal so groß ist, wie das Vorhergehende. Um von einer Einheit auf die nächstkleinere zu kommen, multiplizieren wir sie also mit der Zahl 10:

Flächen sind allerdings nicht ein-, sondern zweidimensional. Der Zusatz "Quadrat-" im Wort Quadratmeter kommt daher, dass die Flächeneinheit einem Quadrat mit einem Meter Seitenlänge entspricht. In einen Quadratmeter passen deshalb nicht etwa zehn, sondern bereits zehn mal zehn, also hundert Quadratdezimeter hinein. Um bei den Flächenmaßen von einer Einheit auf die nächstkleinere zu kommen, müssen wir also stattdessen mit 10² = 10 ⋅ 10 = 100 multiplizieren:

Ein Quadratkilometer entspricht also einer Million Quadratmeter und ein Jahr ungefähr 60 ⋅ 24 ⋅ 365,25 = 525 960 Minuten. Falls die Walddegradation in Quadratkilometern angegeben ist, wandeln wir diese zuerst in Quadratmeter um. Im nächsten Schritt teilen wir sie durch die Minuten in einem Jahr, um die Quadratmeter pro Minute zu erhalten. Zum Schluss teilen wir diesen Wert noch durch die jeweilige Feldgröße und kommen so auf die Anzahl der Felder.

Falls beispielsweise 120 000 Quadratkilometer Wald pro Jahr gerodet werden, entspricht das ungefähr 32 standardmäßigen Fußballfeldern pro Minute. Falls wir jedoch stattdessen die Mindest- und Höchstmaße für die Seitenlängen heranziehen, kommen wir sogar auf circa 56 Felder bzw. nur auf circa 21 Felder.

Jetzt haben wir alles beisammen, um verschiedene Medienberichte zu analysieren. Um die verwendeten Feldgrößen zu bestimmen, drehen wir den letzten Schritt einfach um und teilen die Quadratmeter pro Minute durch die angegebene Anzahl der Felder. Hier ist zum Beispiel für das Jahr 2017 von 20 Feldern die Rede, da insgesamt circa 76 000 km² Wald gerodet wurden. Allem Anschein nach wurde hier die standardmäßige Feldgröße verwendet, wie wir selbst nachrechnen können:

(76 000 000 000 m² : 525 960 min) : 20 Felder ≈ 7224 m² pro Feld

Die so errechnete Feldgröße ist zwar eigentlich ein bisschen mehr als der Standard, aber das dürfte daran liegen, dass die Anzahl der Felder auf eine ganze Zahl, also in diesem Fall zwanzig, gerundet wurde. Hier und hier sind es für das Jahr 2018 mit 12 000 000 ha und hier für 2022 mit 112 800 km² jeweils 30 Felder. Hier wurde die Abholzung für das Jahr 2021 auf 11,1 Mio. ha beziffert und für das Jahr 2022 mit 11 Feldern angegeben, da diese 4,1 Mio. ha entsprach, was auch hier, hier und hier mit 11 Feldern angegeben wurde. In all diesen Beispielen entspricht der Wert umgerechnet jedenfalls der Standardgröße.

Das ändert sich auch nicht bei Meldungen, die eine bestimmte Region der Erde betreffen. Beispielsweise wurden im Jahr 2011 in Brasilien insgesamt ungefähr 13 000 000 Hektar Wald gerodet, weshalb hier drei Felder pro Minute erwähnt werden. Hier, hier, hier und hier wird das Gleiche für den Zeitraum von Juli 2019 bis August 2020 (11 000 km²) gemacht. Hier werden bei der Abholzung im Amazonasgebiet ebenfalls drei Felder erwähnt. Beim Thema Bodenversiegelung ist es übrigens genauso: Hier dienen dreißig Felder, hier und hier jeweils sechzehn und hier acht als Vergleich.

Obwohl es theoretisch zu Ungenauigkeiten aufgrund variabler Felddimensionen kommen könnte, scheint es so, als ob in der Regel ohnehin stets die Standargröße für Berechnungen herangezogen wird. Dadurch verliert der Vorwurf, zumindest in der Praxis, an Wirkung und es handelt sich, meines Erachtens, trotzdem um eine hilfreiche Einheit, um sich ein besseres Bild davon zu machen. Selbstverständlich gibt es einen klaren Unterschied zwischen den Zahlen und der bildhaften Vorstellung, aber für mich persönlich spielt es keine große Rolle, ob es jetzt statt dreißig doch nur zwanzig oder sogar fünfzig Fußballfelder Waldfläche pro Minute sind, die verschwinden, denn ich finde die Vorstellung in jedem Fall beunruhigend.

Johannes C. Huber (fände es schön, wenn Fußballfelder auch quadratisch sein dürften)

* In der Praxis muss das Feld allerdings rechteckig sein, d. h. ein 90 mal 90 Meter-Quadrat wäre nicht erlaubt und wahrscheinlich auch nicht förderlich für das Spielgeschehen. Wer sich mit den theoretischen Felddimensionen spielen möchte, kann das mit diesem GeoGebra-Applet tun.

Quellen:

Donnerstag, 28. März 2024

Rätselhafte Namen Teil 1

Thema: Buchstaben und Stellenwerte

Für meinen 50. Blogbeitrag wollte ich etwas Besonderes machen. Ein Gedanke, der schon länger in meinem Kopf herumgegeistert ist, war, ein eigenes Rätsel zu erstellen. Im Zuge meiner Ideenfindung bin ich durch Zufall auf den Namen Simon Phillips Norton gestoßen. Dabei handelt es sich um einen recht obskuren Mathematiker aus Großbritannien. Wenn man Alexander Masters, der seine Biographie verfasst hat und zeitweise auch sein Untermieter war, glauben darf, hat er Leuten, die sich auf sein Wohnungsinserat gemeldet hatten, manchmal folgendes Rätsel gestellt: SIMON ⋅ P = NORTON.

Das Ziel ist herauszufinden, mit welchen Ziffern die Buchstaben ausgetauscht werden müssen, damit die Rechnung aufgeht. Anscheinend gibt es in diesem Fall sogar zwei mögliche Lösungen. In diesem Beitrag werde ich zeigen, wie ich selbst auf eine davon gekommen bin.

Zu Beginn ist es ratsam, sich den Aufbau des Rätsels genauer anzsehen. Hinter den Buchstaben steckt eine fünfstellige Zahl, die mit einer einstelligen multipliziert wird. Das Ergebnis ist eine sechsstellige Zahl:

ZT T  H  Z  E  ⋅  E  =  HT ZT T  H  Z  E
S I M O N ⋅ P = N O R T O N

Dabei fällt uns auf, dass manche Buchstaben mehr als einmal vorkommen: Sowohl O, als auch N sind beide gleich dreimal vertreten. Insgesamt sind es acht verschiedene Buchstaben, weshalb wir auch nach bis zu acht verschiedenen Ziffern suchen müssen.

Zunächst einmal konzentrieren wir uns auf die Einer- und Zehnerstellen, da dort die beiden Buchstaben O und N in derselben Reihenfolge vorkommen. Wir suchen also nach zwei Ziffern, die mit P multipliziert beim Ergebnis gleich bleiben.

Um mir einen Überblick zu verschaffen, habe ich alle möglichen Multiplikationen von N mit P in einer Tabelle aufgelistet. Da es zehn verschiedene Ziffern gibt, kommen wir auf 10 ⋅ 10 = 100 Möglichkeiten:

Im nächsten Schritt habe ich jene Ergebnisse grün markiert, bei denen die Einerstelle gleich ist, wie die Ziffer für N. Dadurch können wir die Anzahl der Möglichkeiten bereits auf 27 reduzieren:

 

Diese lässt sich noch weiter verringern, denn es gibt zwei Optionen für P, die wir ausschließen können, und zwar 0 und 1, da sonst das Ergebnis der Multiplikation nicht mit der angegebenen Lösung zusammenpassen würde. Eine Multiplikation mit 0 führt nämlich zum einstelligen Ergebnis 0 und eine mit 1 ändert nichts an der Zahl, weshalb sie in diesem Fall fünfstellig bleibt und das Ergebnis außerdem ebenso SIMON sein müsste. Somit bleiben uns noch sechzehn mögliche Fälle:

Als Nächstes können wir den Fall N = 0 ausschließen, weil das Ergebnis NORTON dann in Wirklichkeit nur fünfstellig wäre. Dadurch halbiert sich die Anzahl auf acht Möglichkeiten: 


Wir haben also bei der Multiplikation mit der Einerstelle auf jeden Fall einen Übertrag auf die nächstgrößere Stelle, und zwar entweder 1, 2, 3 oder 4. Ein netter Nebeneffekt dieser Erkenntnis ist, dass wir dadurch gleich O = 0 ausschließen können, weil in diesem Fall die Zehnerstelle der ersten Zahl aufgrund des Übertrags nicht mit jener vom Ergebnis übereinstimmen würde.

Als Nächstes überprüfen wir, bei welchen Multiplikationen die gleiche Ziffer N auf der Einer- und Hunderttausenderstelle beim Ergebnis erzeugt werden kann und können 5 ⋅ 3, 5 ⋅ 5, 6 ⋅ 6 und 8 ⋅ 6 streichen. Das liegt daran, dass der zweite Faktor P in diesen Fällen nicht groß genug dafür ist, denn selbst wenn wir die größtmögliche Ziffer 9 für S und I einsetzen, führen die Ergebnisse 99 ⋅ 3 = 297, 99 ⋅ 5 = 495 und 99 ⋅ 6 = 594 nicht dazu, dass die Ziffer an der Einer- und Hunderttausenderstelle beim Ergebnis gleich ist. Dadurch halbiert sich die Anzahl der Fälle erneut auf vier:


Nun überlegen wir uns, ob wir noch weitere Fälle ausschließen können. Dazu testen wir, welche Zehnerziffern beim ersten Faktor multipliziert mit dem jeweiligen zweiten Faktor (6, 7 oder 9) zusammen mit dem Übertrag von 1 bis 4 wieder zur gleichen Zehnerziffer beim Ergebnis führen:

SIMO2 ⋅ 6 = 2ORTO2
SIMO4 ⋅ 6 = 4ORTO4
SIMO5 ⋅ 7 = 5ORTO5
SIMO5 ⋅ 9 = 5ORTO5

Auf diese Weise können wir für jeden der vier Fälle alle Ziffern von 1 bis 9 für O ausprobieren und sehen, dass der Großteil davon nicht passt. Der einzig verbleibende Fall ist somit 5 ⋅ 9 mit den beiden Möglichkeiten O = 2 und O = 7. Zum Schluss spielen wir einfach alle möglichen Ziffernkombinationen für diese beiden Varianten durch, indem wir die restlichen Stellen mit passenden Ziffern ergänzen:

SIM25 ⋅ 9 = 52RT25
SIM75 ⋅ 9 = 57RT75

Dadurch kommen wir überraschenderweise auf über zwanzig mögliche Lösungen, wobei alle bis auf eine mindestens eine Mehrfachbelegung von Ziffern aufweisen

  • 57 825 ⋅ 9 = 520 425 (S = N = 5)
  • 57 925 ⋅ 9 = 521 325 (S = N = 5 und M = P = 9)
  • 58 025 ⋅ 9 = 522 225 (S = N = 5 und O = R = T = 2)
  • 58 125 ⋅ 9 = 523 125 (S = N = 5 und M = T = 1)
  • 58 225 ⋅ 9 = 524 025 (S = N = 5 und O = M = 2)
  • 58 325 ⋅ 9 = 524 925 (S = N = 5 und P = T = 9)
  • 58 425 ⋅ 9 = 525 825 (S = N = R = 5 und I = T = 8)
  • 5525 ⋅ 9 = 526 725 (S = M = N = 5)
  • 58 625 ⋅ 9 = 527 625 (S = N = 5 und M = T = 6)
  • 58 725 ⋅ 9 = 528 525 (S = N = T = 5 und I = R = 8)
  • 58 825 ⋅ 9 = 529 425 (S = N = 5 und I = M = 8)
  • 63 075 ⋅ 9 = 576 675 (S = R = T = 6)
  • 63 375 ⋅ 9 = 570 375 (I = M = R = 3)
  • 63 575 ⋅ 9 = 572 175 (M = N = 5)
  • 63 675 ⋅ 9 = 573 075 (S = M = 6 und I = R = 3)
  • 63 775 ⋅ 9 = 573 975 (M = O = 7 und I = R = 3 und P = T = 9)
  • 63 875 ⋅ 9 = 574 875 (M = T = 8)
  • 63 975 ⋅ 9 = 575 775 (M = P = 9 und N = R = 5)
  • 64 175 ⋅ 9 = 577 575 (O = R = 7 und N = T = 5)
  • 64 275 ⋅ 9 = 578 475 (I = R = 4)
  • 64 375 ⋅ 9 = 577 375 (O = R = 7 und M = T = 3)

Ich nehme an, dass der Hinweis auf nur zwei mögliche Lösungen um ein zusätzliches Kriterium ergänzt werden sollte: jede Ziffer darf nur einem Buchstaben zugeordnet werden. Die dementsprechend einzige gültige Lösung lautet 63 475 ⋅ 9 = 571 275 mit folgender Belegung: I = 3, M = 4, N = 5, O = 7, P = 9, R = 1, S = 6 sowie T = 2.

Ich bin eigentlich davon ausgegangen, dass ich alle Möglichkeiten berücksichtigt habe und dementsprechend auch zwei Lösungen ohne Mehrfachbelegungen erhalten hätte müssen, aber leider scheint es noch eine andere zu geben. Da ich jedoch keine Lust habe alles noch einmal von vorne durchzugehen, werde ich versuchen, ein Programm zu schreiben, das diese Arbeit für mich übernimmt.

Johannes C. Huber (möchte gerne ein ähnliches Rästel mit seinem eigenen Namen erstellen)

Mittwoch, 28. Februar 2024

Gamification von Hausarbeit

Thema: To-Do-Listen und Wahrscheinlichkeiten

Manchmal steht ein Punkt auf meiner To-Do-Liste, den ich eigentlich dringend erledigen sollte, obwohl ich partout keine Lust darauf habe. Unter Umständen habe ich ihn deshalb schon mehrere Male aufgeschoben und von einer Liste in die nächste übertragen. Ich bin definitiv nicht die einzige Person auf diesem Planeten, die hin und wieder prokrastiniert, aber seit Jahresbeginn fahre ich ganz gut mit folgender Taktik: Anstatt wertvolle mentale Ressourcen zu vergeuden, weil ich entscheiden muss, welcher Aufgabe ich mich als nächstes widme, überlasse ich das einfach dem Zufall. Deshalb nutze ich seit geraumer Zeit ein virtuelles Glücksrad, um mir die Wahl der Qual abzunehmen.

Diese Idee ist mir gekommen, als ich einem Youtuber bei einem besonders herausfordernden Playthrough von Hitman zugesehen habe. Abgesehen davon, dass er das Spiel auf der höchsten Schwierigkeitsstufe absolviert hat, musste er zusätzlich dazu nach jeweils fünf Minuten Spielzeit ein Glücksrad der Website Picker Wheel drehen. Das Resultat der Drehung konnte eine zusätzliche Aufgabe sein, die er erfüllen musste oder eine selbst auferlegte Einschränkung, an die er sich halten musste. Selbstverständlich würde es mit jedem weiteren Dreh immer schwieriger werden ein Level erfolgreich zu beenden.  

Mein Ziel war natürlich nicht, mir das Leben künstlich zu erschweren. Ganz im Gegenteil. Also habe ich es einfach ausprobiert, um zu sehen, ob ich mich damit selbst in Richtung mehr Effizienz tricksen kann. Ich wurde tatsächlich positiv überrascht, weil ich mit relativ wenig Aufwand gleich viel konsequenter geworden bin. Das liegt unter anderem daran, dass ich das Rad erst wieder drehen darf, wenn die aktuelle Aufgabe abgeschlossen ist. So gerate ich nicht in Versuchung stattdessen irgendwelche potentiell unwichtigeren Tätigkeiten vorzuziehen, um mir selbst Produktivität vorzugaukeln.

Eine Vorgehensweise wie diese ist höchstwahrscheinlich nichts Neues, aber sie macht mir wesentlich mehr Spaß, weil ich erstens nicht mehr selbst aussuchen muss, was als Nächstes drankommt und mich zweitens auch nicht mehr selbst dafür verfluchen kann. So schaffe ich es meist alles zu erledigen, was ich mir für einen Tag vorgenommen habe, weil ich nicht mehr auf potentiell entspanntere Aufgabeb ausweichen kann. Ich würde allerdings anmerken, dass es durchaus ein paar Dinge gibt, die man dabei beachten sollte.


beispielhaftes Glücksrad (Bildquelle: Picker-Wheel) 

Es gibt verschiedene Prinzipien mit stimmig klingenden Abkürzungen, die bei der Formulierung von Zielen helfen können, wie beispielsweise METER (messbar-einfach-terminiert-erreichbar-relevant) oder SMART (spezifisch-messbar-ausführbar-realistisch-terminiert). Abgesehen davon, dass man sie sich leicht merken kann, haben sie durchaus ihre Berechtigung. Daher möchte ich zum Schluss noch ein paar Tipps für die Umsetzung geben.

Die Glücksrad-Methode eignet sich, meines Erachtens, nur für Aufgaben, die sich innerhalb eines Tages erledigen lassen. Die Deadline ist dadurch zwar klar vorgegeben, aber ich empfehle generell nur Aufgaben einzutragen, die nicht allzu viel Zeit in Anspruch nehmen. Ein Eintrag wie "Wohnung putzen" ist wahrscheinlich ein wenig überladen (es sei denn man bewohnt nur ein Zimmer). Als grober Richtwert sollte jede Aufgabe nicht länger als eine Stunde dauern. Falls eine Aufgabe zu zeitintensiv erscheint, lässt sie sich möglicherweise in kleinere Teilaufgaben zerlegen.

Abgesehen davon sollten die Aufgaben am jeweiligen Tag auch tatsächlich erledigt werden können. Es bringt beispielsweise nichts, wenn man an einem Sonntag telefonisch einen Arzttermin vereinbaren möchte, aber die Praxis nicht geöffnet hat und daher niemand abhebt. Außerdem sollten sie voneinander unabhängig sein. Falls man z. B. die beiden Aufgaben "Farbe kaufen" und "Wand streichen" auf der Liste hat, ist die Reihenfolge prädeterminiert und kann nicht dem Zufall überlassen werden.

Bei To-Do-Listen im Allgemeinen ist es hilfreich, die Einträge zumindest halbwegs präzise zu formulieren, damit auch klar ist, was letztlich gemacht werden soll. Man könnte z. B. "Wohnzimmerboden nass wischen" statt einfach nur "Wohnzimmer putzen" schreiben oder "Batterien beim Diskonter kaufen" statt "Einkäufe erledigen".

Um nicht nur Aufgaben in Aussicht zu haben, auf die man wenig Lust hat, kann man auch solche einstreuen, die Freude machen bzw. einen gewissen Ausgleich schaffen, wie beispielsweise ein Kapitel eines Buches zu lesen, das schon seit längerem unangetastet herumliegt oder einen Film schauen, den man sich notiert hat. Das verleiht dem ganzen ein bisschen mehr Glücksspielcharakter, weil man auch auf etwas hoffen kann, das potentiell Spaß macht.

Ich habe ursprünglich mit dem Gedanken gespielt, Felder hinzuzufügen, die z. B. ein erneutes Drehen erlauben, falls man etwas erwischt hat, das man eigentlich lieber später machen möchte. Allerdings würde ich eher davon abraten, weil es den Sinn der Methode zunichte macht, wenn man sich im Endeffekt erst recht wieder vor Aufgaben drücken kann. Es könnte aber durchaus sinnvoll sein dringenden Aufgaben mehr bzw. größere Felder zu geben, damit diese mit einer höheren Wahrscheinlichkeit getroffen werden.

Eine andere Variante ist, stattdessen das Rad einfach laufend mit neuen Aufgaben zu füllen, d. h. auch dann, wenn noch welche übrig sind. Dadurch eröffnet sich zwar die Möglichkeit, unliebsame Aufgaben hinauszuzögern, aber auf kurz oder lang wird jede Aufgabe trotzdem irgendwann einmal dran kommen.

Wer das Gefühl mag, stolz einen Bullet Point nach dem anderen durchzustreichen, sollte es unbedingt einmal ausprobieren. Auch wenn man alle Einträge selbst geschrieben hat, tritt immer noch ein kleiner Überrauschungseffekt auf, sobald sich zeigt, was man erwischt hat. Ich bin jedenfalls hellauf begeistert davon und schreibe seitdem einfach alle Einträge meiner To-Do-Liste in die Felder auf dem Rad und um den Rest kümmert sich der Pfeil.

Johannes C. Huber (hat vom Glücksrad den Auftrag bekommen, endlich diesen Beitrag fertigzustellen)

Hier ein paar weitere Websites mit virtuellen Glücksrädern:

Freitag, 2. Februar 2024

ORGAN²/ASFSP

Thema: Orgelstücke und Zeiteinheiten

Dieser Beitrag ist am 02.02.2024 auch im Standard erschienen.

Durch Kulturgüter wie die Wiener Sängerknaben oder die Salzburger Festspiele ist Österreich weltweit bekannt. Doch auch in unserem Nachbarland gibt es Aufführungen, mit denen Musikgeschichte geschrieben wird. Eine davon spielt sich aktuell in Halberstadt in der möglicherweise recht unscheinbar wirkenden Burchardi-Kirche ab. Dort wird nämlich bereits seit über 20 Jahren durchgehend das Stück ORGAN²-ASLSP (as slow as possible) von John Cage gespielt, welches insgesamt 639 Jahre dauern soll und somit das bis dahin längste Musikstück der Menschheitsgeschichte sein wird.

Diese extrem lange Spielzeit ist die Differenz der Zeitpunkte des Einbaus der ursprünglichen, aber heute nicht mehr erhaltenen Orgel im Jahr 1361 und dem Ende des letzten Milleniums. Der Beginn der Aufführung war nämlich ursprünglich für das Jahr 2000 angesetzt, wurde aber dann auf 2001 verschoben. Das Stück besteht aus insgesamt acht Teilen, von denen jeder genau 71 Jahre lang gespielt wird. Bis zum Beginn des zweiten Teils dauert es also mittlerweile sogar schon weniger als ein halbes Jahrhundert, aber selbst dann wird erst ein Achtel der Aufführung vorbei sein.

Da im Februar der nächste Klangwechsel bevorsteht, habe ich ein wenig über das Thema gelesen und bin dabei auf das vermeintliche Gegenteil davon gestoßen: Eine Version mit dem klingenenden Namen ASFSP (as fast as possible), die stattdessen nur 37 Sekunden lang ist. Ich kann nicht mit Sicherheit beurteilen, ob das tatsächlich die kürzestmögliche Spielzeit ist, aber ich denke, dass die Grenzen des Möglichen damit noch nicht vollends ausgereizt sind. Da es keine vorgegebene Spielzeit gibt, habe ich mir überlegt, wie viel schneller die mehrere Jahrhunderte dauernde Version des Musikstücks abgespielt werden könnte, damit sie wirklich so kurz wie möglich dauert.

Um eine Antwort darauf geben zu können, benötigen wir zunächst einmal die kleinstmögliche Zeiteinheit. Diese erhalten wir, indem wir die größtmögliche Geschwindigkeit mit der kürzestmöglichen Strecke kombinieren. Ersteres ist die Lichtgeschwindigkeit im lufltleeren Raum mit fast dreihundert Millionen Metern pro Sekunde beziehungsweise über einer Milliarde Kilometern pro Stunde. Letzteres ist die sogenannte Planck-Länge, welche nur 1,616 255 ⋅ 10⁻³⁵ Meter lang ist. Zum Vergleich: Die bisher höchste Geschwindigkeit eines Raumfahrzeugs mit ungefähr 163 000 Metern pro Sekunde beziehungsweise 568 800 Kilometern pro Stunde wurde von der Parker Solar Probe erreicht und die Durchmesser von Atomen werden in Nanometern bzw. 10⁻¹⁰ Metern angegeben.

Um daraus die kürzestmögliche Zeiteinheit zu ermitteln, lassen wir also Licht über eine Distanz der Planck-Länge reisen. Das Ganze dauert erwartungsgemäß nicht sonderlich lange und wird Planck-Zeit genannt: tₚ ≈ 5,391 ⋅ 10⁻⁴⁴ Sekunden. Wir könnten nun versuchen, ein ähnliches Verhältnis wie das zwischen Planck-Zeit und Sekunde mit anderen Zeiteinheiten aufzustellen, um zumindest eine ansatzweise Vorstellung davon zu bekommen, wie unfassbar kurz das ist. Der Haken bei der Sache ist allerdings, dass wir in unserem Alltag schlicht und einfach keine gebräuchlichen Zeiteinheiten finden werden, mit denen das möglich ist. Eine Planck-Zeit ist nämlich im Vergleich zu einer Sekunde immer noch erheblich kürzer als eine Sekunde im Vergleich zum geschätzten Alter des Universums.

Obwohl wir uns vermutlich eher schwer damit tun, uns die Zeiteinheit vorzustellen, wissen wir nun immerhin, was wir haben möchten. Als Nächstes wandeln wir die Spielzeit des Stücks ebenfalls in Sekunden um, damit wir besser mit den beiden Zeiteinheiten rechnen können. Dazu überlegen wir uns Folgendes: Eine Minute dauert 60 Sekunden, also dauert eine Stunde 60 ∙ 60 = 3600 Sekunden und ein Tag 24 ∙ 3600 = 86 400 Sekunden. Ein Jahr hat somit ungefähr 365,25 ∙ 86 400 = 31 557 600 Sekunden und 639 Jahre demnach ungefähr 639 ∙ 31 557 600 = 20 165 306 400 Sekunden. In wissenschaftlicher Notation ist die Spielzeit des Stücks: tₐₛₗₛₚ = 2,016 530 64 ⋅ 10¹⁰ Sekunden.

Jetzt haben wir alles beisammen, um herauszufinden, wie viel schneller das Stück gespielt werden müsste, um in eine Planck-Zeit hineinzupassen. Dafür ermitteln wir zunächst den sogenannten Skalierungsfaktor, indem wir das Verhältnis der Soll- zur Ist-Größe aufstellen, das heißt wir teilen die gewünschte durch die ursprüngliche Zeitspanne und kommen somit auf:

tₚ : tₐₛₗₛₚ = 5,391 ⋅ 10⁻⁴⁴ s : 2, 016 530 64 ⋅ 10¹⁰ s ≈ 2,67340346 ⋅ 10⁻⁵⁴

Das Ergebnis ist jene Zahl, mit der wir die Spielzeit des Stücks multiplizieren müssten, um auf die Planck-Zeit zu kommen. Leider sagt sie uns aber noch nicht direkt, wie viel schneller es gespielt werden muss, damit das passiert.

Dafür benötigen wir einen ähnlichen Wert, wie wir ihn auch bei den Videoeinstellungen auf Plattformen wie YouTube finden. Angenommen, wir möchten ein zehn Minuten langes Video in der Hälfte der Zeit schauen. Um die Spielzeit zu halbieren, multiplizieren wir sie mit dem Skalierungsfaktor ein Halbes, aber das bedeutet natürlich nicht, dass wir das Video halb so schnell abspielen. Um das durch eine Änderung der Wiedergabegeschwindigkeit zu erreichen, machen wir das Gegenteil, das heißt wir erhöhen sie auf das Doppelte beziehungsweise multiplizieren wir sie mit dem Faktor zwei:


doppelte Wiedergabegeschwindigkeit (Quelle: Youtube)

Um das Gleiche für das Orgelstück zu bewerkstelligen, müssen wir also lediglich den Kehrwert des Verhältnisses bilden, das heißt Zähler und Nenner vertauschen oder vereinfacht gesagt "den Bruch umdrehen":

tₐₛₗₛₚ : tₚ = 2, 016 530 64 ⋅ 10¹⁰ s : 5,391 ⋅ 10⁻⁴⁴ s ≈ 0,374 055 025 ⋅ 10⁵⁴ = 3,740 550 25 ⋅ 10⁵⁵

Das Stück müsste also mehr als sage und schreibe 37 Nonilliarden-mal so schnell abgespielt werden, um der Angabe ASFSP, zumindest theoretisch, gerecht werden zu können.

Johannes C. Huber (hält eine Spielzeit von ungefähr dreißig Minuten für angemessen)

* Ein julianisches Kalenderjahr mit 365,2425 Tagen hat demnach 31 556 952 Sekunden. Eine recht praktische Approximation für die Anzahl der Sekunden in einem Jahr ist übrigens π ∙ 10⁷ ≈ 31 415 927.

Mittwoch, 31. Januar 2024

Besser als Lotto?

Thema: Lotterien und Erwartungswerte

Meine Pfadigruppe macht auch dieses Jahr wieder beim österreichweiten Losverkauf mit. Dabei erwähnen wir gerne, dass die Chancen auf den Hauptgewinn größer sind als im Lotto. Diese Behauptung erscheint plausibel, wenn man bedenkt, dass es insgesamt 200 000 Lose und 2 790 Warentreffer gibt. Somit liegt die Gewinnwahrscheinlichkeit bei immerhin 1,395 Prozent und man könnte auch sagen, dass mindestens jedes hundertste Los gewinnt. Für den Hauptgewinn wiederum beträgt die Chance 0,0005 Prozent. Doch wie gut schneidet die Pfadilotterie im Vergleich zu den ganzjährig spielbaren Alternativen  ab?


Ein Los der diesjährigen Lotterie (Bildquelle: Johannes C. Huber)

Um das zu beantworten, versuchen wir herauszufinden, wie sehr sich die Investition lohnt. Ein Los kostet 2 Euro und der Wert aller Preise beläuft sich heuer auf insgesamt 119 980 Euro. Ein Treffer ist also durchschnittlich ungefähr 43 Euro wert, aber wir müssen natürlich auch berücksichtigen dass es viele Nieten gibt. Abgesehen davon wäre es viel interessanter zu wissen, mit welchem durchschnittlichen Gewinn wir rechnen dürfen. Da auf jedem Los die Werte der einzelnen Preise* aufgeschlüsselt sind, können wir den Erwartungswert berechnen. Wir müssen lediglich darauf achten bei jedem Gegenwert vorher noch den Kaufpreis eines Loses abzuziehen:

𝔼(X) = (6 398 € + 1 203 € + 1 093 € + 638 € ⋅ 6 + 158 € ⋅ 180 + 28 € 26002 € 197 210) : 200 000 =
(113 762 €   394 420 €) : 200 000 = 280 658 € : 200 000 ≈ 1,40 €

Nach Abzug des Lospreises stehen wir tatsächlich mit einem durchschnittlichen Verlust von 1,40 Euro da. Zum Vergleich: Beim österreichischen 6 aus 45 ist der zu erwartende Verlust ungefähr 76 Cent und beim deutschen 6 aus 49 ungefähr 70 Cent. In dieser Hinsicht schneidet die Pfadilotterie also schlechter ab. Allerdings sollten wir an dieser Stelle noch die Gewinnausschüttung näher betrachten, denn normalerweise fließt ungefähr die Hälfte der Einnahmen wieder an jene Teilnehmenden zurück, die einen Treffer landen und der Rest wird einbehalten.

Bei der Pfadilotterie gibt es jedoch noch einen weiteren Unterschied zu herkömmlichen Lotterien. Neben den Preisen, die es zu gewinnen gibt, kommt nämlich auch noch ungefähr die Hälfte vom Erlös des Losverkaufs der jeweiligen Gruppe zugute. In diesem Fall hat man also nicht nur die Chance einen Preis zu ergattern, sondern kann auch gleichzeitig eine gemeinnützige Organisation finanziell unterstützen. Außerdem ermöglicht der Losverkauf Kindern und Jugendlichen den Umgang mit Geld zu lernen und das ist, meines Erachtens, auf jeden Fall eine gute Sache.

Johannes C. Huber (rät davon ab den Erwartungswert als Verkaufsargument zu nutzen)

* Trefferverzeichnis:
Haupttreffer
1. Preis: Reisegutschein (
6 400 €)
2. Preis: KlimaTicket Ö Classic Familie (1 205 €)
3. Preis:
KlimaTicket Ö Classic (1 095 €)
4.-10. Preis: Reisegutscheine (je
640 €)
Serientreffer
180 Sneakers (je
160 €)
2 600 Hervis-Gutschein (je 30 €)

Quellen: